Es gibt Menschen, deren Haupt- und Generalhobby das Lesen und/oder Sammeln von Comics ist. Sie geben all ihr Geld für Comics, Mangas, Graphic Novels aus und womöglich den Rest für Comictheorie, Merchandisingkram und Fahrten zu Comicfestivals. Sie tun es ihr Leben lang und kennen alles und jedes Sprechblasenlesefutter… Für Menschen wie mich, die ihre Knete für andere Dinge brauchen (wollen) , bietet sich zumindest theoretisch der Gang in die öffentliche Bibliothek an, um dort wenigstens einige der begehrten Titel faktisch kostenlos auszuleihen. Comics in der Bibliothek, gibt es das? Welche, warum, für wen? In der Stadtbibliothek Erlangen habe ich mich danach erkundigt. Nebenbei habe ich Einiges über Rezeptions- und Anschaffungsgewohnheiten gelernt. Ich durfte mit Peter Wabel sprechen, einem engagierten Mitarbeiter, der unter anderem das Lektorat für Erwachsenencomics inne hat.
Comics werden für drei Altersgruppen angeboten
Der Comicbestand der Erlanger Stadtbibliothek, so berichtet Peter Wabel, umfaßt etwa 4000 Titel. Sie sind nach Altersgruppen geteilt – der Bereich der Kindercomics ist für Leser bis zu 10/12 Jahren geeignet, es gibt in dieser Gruppe etwa 1300 Bände in der Bibliothek, und ca. 1000 im Bücherbus. Für 12 bis 16jährige werden die als Jugendcomics kategorisierten ca. 600 Bände bereit gehalten; bei Eignung ab 16 gilt dann alles als Erwachsenencomic, 800 ausleihbare Medien sind das. Comics, so erfahre ich, gehören zu den Bestleihern der gesamten Bibliothek, die Nachfrage kann kaum erfüllt werden: Im Erwachsenenbereich gab es im letzten Jahr ca. 6500 Ausleihen, bei Kindern und Jugendlichen und im Bus waren es insgesamt 39000. Schaut man sich vor Ort das Angebot an, muß man sich darüber im Klaren sein, dass nur die Spitze des Eisbergs zu sehen ist: Die Masse ist ausgeliehen! Insbesondere Neuerscheinungen sind fast immer unterwegs, in der Regel halten sich diese gesteigerten Ausleihzahlen für Neues ca. 2 Jahre lang.
Die Bibliothek ist kein Archiv
Die Bestandsgröße in der Bibliothek muß im Großen und Ganzen gleich bleiben, denn sie hat keine Archivfunktion! Das hat Folgen, wie Wabel erklärt: „Wenn ich merke, die Nachfrage ist nicht mehr da, dann fliegt ein Comic raus, auch wenn er vor 20 Jahren den Max & Moritzpreis bekommen hat und auch, wenn mir das innerlich weh tut! Aber unser Platz ist begrenzt… Beispielsweise hatte Enki Bilal einmal seine große Zeit, nun wurde er seit Jahren nicht ausgeliehen. Ich lasse noch ein, zwei Bände da, damit der Autor wenigstens noch erinnert wird, mehr geht nicht.“ Der Bestandsbetreuer kann am Computer genau verfolgen, wie oft ein Band ausgeliehen oder zumindest im Katalog angeklickt wird, und kann/muß entsprechend reagieren.
Mangas
Interessant: Man kann anhand der Ausleihdaten feststellen, dass im Erwachsenenbereich Mangaleser keine Comics/Graphic Novels ausleihen und umgekehrt! Ebenso überrascht, dass Mangas, wie Wabel beobachten kann, fast ausschließlich von Frauen und Mädchen ausgeliehen werden, und zwar vor allem im Jugendlichenbereich. Im Erwachsenenbereich gehen Mangas nicht, Wabel vermutet, dass dies an der für Erwachsene ungewohnten Geschwindigkeit und Leserichtung liegt. Deshalb werden so interessante Serien wie Psychodetectiv Jacumo, Switch Girl, Bakuman, Black Bird etc. in der Abteilung für Jugendliche angeboten.
Im Comicbereich gehen einzelne Alben besser als Gesamtausgaben, wie sie bspw. von Toonfish / Splitter vorgelegt werden.
Zur Graphic Novel als Sonderform des Comic hat Peter Wabel viel zu sagen, das wäre dann aber schon ein eigenes Thema…
Wer entscheidet, welche Comics in die Stadtbibliothek kommen?
Nicht in allen Gemeindebibliotheken gibt es eine wohlsortierte Comicabteilung, was daran liegt, dass es für viele Bibliothekare ein fremdes Gebiet ist. Der für das zuständige Gebiet tätige Lektor hat die Möglichkeit, direkt für die ihm bekannte Leserschaft relevante Lektüren einzukaufen, doch zumeist werden für öffentliche Bibliotheken bestimmte Comics über die sogenannte Standing Order eingekauft. Standing Order bedeutet, die Titel werden von der EKZ, der Einkaufszentrale für öffentliche Bibliotheken in Reutlingen eingekauft und mit einer neuen, robusten Bindung sowie einer schmutzabweisenden Schutzfolie ausgestattet und an die Bibliotheken versandt. Dem geht voraus, dass der Infodienst (ID) der EKZ in seinem Informationsblatt für Bibliothekare regelmäßig Buchneuerscheinungen mit Bewertungen versehen vorstellt. In je gesonderten Blättern werden auch Mangas und Comics angeboten. Die Bewertungen der EKZ enthalten Vorschläge zur Altersgruppenfestlegung, oft Empfehlungen, wie aktuell z. B. Doppeltes Glück mit dem Roten Affen von Joe Daly , aber auch Warnungen: Beispielsweise über den neuen Robert Crump ist im ID zu lesen: „Den kaufenden Bibliotheken sollte bewußt sein, dass dieser Band explizite sexuelle Inhalte zeigt“. Immer hat aber der zuständige Lektor die Freiheit der Auswahl aus Standing Order und auch der direkten Anschaffung. Peter Wabel erklärt: „Viele Bibliotheken arbeiten gerne mit dem Standing Order System, weil es nur wenige Leute gibt, die sich mit Comics beschäftigen. Es muß jemand wirklich Bescheid wissen, eine gewisse Passion dafür entwickeln, um das etwas individueller zu gestalten. Ich gehe regelmäßig in den Comicladen, und wenn die montlichen Neuerscheinungen kommen, kann ich sie gleich einkaufen und in der Bibliothek einstellen. Das bedeutet konkret, dass die Mädels, die gespannt auf ihre Mangafortsetzung warten, sich nicht erst 3 – 4 Monate lang gedulden müssen. Wir wissen, was unsere Leser mögen und erwarten, und deshalb kaufen wir auch selbst ein!“
Auch die Bestandserhaltung kann nur durch eigenen Einkauf gedeckt werden, kaputtgegangene Ausgaben ersetzt Standing Order nicht, da kommt nur Neues, und nur einmal. Zerlesene Lucky Lukes und Co. müssen also selbst nachgekauft werden!
Wabel beobachtet sowohl den Markt als auch die Ausleihgewohnheiten seiner Leser: „Ich versuche hier einen Bestand für alle Bevölkerungsschichten parat zu halten, ich kann nicht nur Graphic Novel kaufen, ich muß auch den einen oder anderen Superhelden rein tun, Sammelbände, Fortsetzungen von Albenserien usw.“ Seine liebsten Informationsquellen sind der Newsletter von Hummelcomic in Hamburg, einem Versandthandel mit monatlichem Überblick über Neuerscheinungen, dann
natürlich die Comicartikel in der FAZ und im tagesspiegel und Informationen in den Sozialen Medien.
Der Etat der Bibliothek für Comics ist natürlich begrenzt (Neuerscheinungen für 1000 € im Erwachsenenbereich und 1200 € für Kinder/Jugendliche, Austausch extra), doch es geht immer mal wieder noch was, zumal da die Mitarbeiter sich für Sonderaktionen engagieren, die ihren Resorts dann auch neue Fianzmittel erschließen. So veranstaltete die Stadtbibliothek im Zusammenhang mit dem Erlanger Comic Salon 2012 für Schüler der Wirtschaftsschule einen workshop mit dem Titel Wie kommt ein Comic in die Bibliothek? Die Jugendlichen durften mit Hilfe Peter Wabels einen ganzen Anschaffungs- und Einarbeitungsvorgang von der Auswahl bis zur Bereitstellung in der Ausleihe selbst durchführen, hierzu hat die Bibliothek einen Sonderetat in Höhe von 500 € bereitgestellt, der Bestand hat dabei so viel an Comics gewonnen wie die Schüler an Erfahrung!
Zu guter Letzt gibt es auch noch einen Weg, auf dem Comics in die Stadtbibliothek gelangen können, die ich allen ans Herz legen möchte, nämlich die Schenkung von Lesern, Privatpersonen und Verlagen:
Comics können den Bibliotheken geschenkt werden! Das ist doch mal eine gute Idee, oder?